Charta

Die Charta der Modernen Schule von 1968
(Charta der Ecole Moderne)

Diese Charta, ursprünglich 1968 als Grundsatzerklärung von der Französischen Freinet-Bewegung (I.C.E:M.) verabschiedet, ist seitdem die Arbeitsgrundlage aller Freinet-Bewegungen, die Mitglied in der Internationalen Freinet-Vereinigung FIMEM (Féderation Internationale du Mouvement de l’Ecole Moderne) sind. Die hier vorliegende Übersetzung ist entnommen aus: Beek, Johannes/Boehnke, Heiner (Hrsg.): Jahrbuch für Lehrer I977, Reinbek bei Hamburg l976, S. 219-221).

1.      Erziehung ist Entfaltung und Bildung und nicht Ansammlung von Wissen, Dressur oder Manipulation.

In dieser Absicht suchen wir nach den Arbeitstechniken und Werkzeugen, den Organisations- und Lebensformen innerhalb des schulischen und gesellschaftlichen Rahmens, die eine solche Entfaltung und Bildung im höchsten Maße zulassen. Unterstützt durch das Werk von Célestin Freinet und stark durch unsere Erfahrung haben wir die Gewißheit, das Verhalten der Kinder, die die Männer und Frauen von morgen sind, zu beeinflussen, aber auch das Verhalten der Erzieher, die eine neue Rolle in der Gesellschaft zu spielen haben.

2.      Wir sind gegen jede Indoktrinierung.

Wir maßen uns nicht an, im voraus definieren zu können, was aus dem Kind wird, das wir erziehen; wir bereiten es nicht darauf vor, der Welt von heute zu dienen und sie fortzusetzen, sondern die Gesellschaft aufzubauen, die seine Entfaltung am besten sichert. Wir lehnen es ab, seinem Geist irgendeine unfehlbare und vorher festgelegte Lehre aufzuzwingen. Wir bemühen uns, aus unseren Schülern bewusste und verantwortliche Erwachsene zu machen, die eine Welt aufbauen werden, aus der Krieg, Rassismus und alle Formen der Diskriminierung und Ausbeutung des Menschen verbannt sind.

3.      Wir lehnen die Illusion einer Erziehung ab, die sich selbst genügt und außerhalb der großen gesellschaftlichen und politischen Strömungen steht, die sie bedingen.

Die Erziehung ist nicht mehr als ein Element einer notwendigen gesellschaftlichen Revolution. Die sozialen und politischen Verhältnisse, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Eltern wie der Kinder besitzen einen entscheidenden Einfluss auf die Ausbildung der jungen Generation.
Wir müssen den Erziehern, den Eltern und allen Freunden der Schule die Notwendigkeit zeigen, gesellschaftlich und politisch an der Seite der Arbeiter dafür zu kämpfen, dass die laizistische Erziehung ihre hohe Erziehungsfunktion erfüllen kann. In dieser Absicht wird jedes unserer Mitglieder entsprechend seiner ideologischen, philosophischen und politischen Prioritäten darauf hinwirken, dass die Forderungen der Erziehung sich in die umfassenden Bemühungen der Menschen auf der Suche nach Glück, Kultur und Frieden einfügen.

4.      Die Schule von morgen wird die Schule der Arbeit sein.

Die schöpferische Arbeit, frei gewählt und übernommen von der Gruppe, ist das große Prinzip, die eigentliche Grundlage der Volkserziehung. Aus ihr werden sich alle weiteren Errungenschaften ergeben und durch sie werden alle Möglichkeiten des Kindes zur Geltung kommen. Durch Arbeit und Verantwortung wird sich die auf diese Weise erneuerte Schule vollkommen in die soziale und kulturelle Umwelt einfügen, von der sie heute willkürlich getrennt ist.

5.       Im Mittelpunkt der Schule wird das Kind stehen. Das Kind baut mit unserer Hilfe seine Persönlichkeit selbst auf.

Es ist schwierig, das Kind, seine psychologischen Eigenarten, seine Neigungen und Wünsche kennen zu lernen, um auf diese Kenntnis unser erzieherisches Verhalten zu begründen; die Pädagogik Freinets, die auf den freien Ausdruck durch die natürliche Methode ausgerichtet ist und eine helfende Umwelt, Material und Techniken bietet, die eine natürliche, lebendige und kulturelle Erziehung ermög-

lichen, bewirkt jedoch eine echte psycho- logische und pädagogische Verbesserung.

6.      Die experimentelle Forschung an der Basis ist die Voraussetzung unserer Bemühungen um die Modernisierung der Schule durch Kooperation.

Es gibt im I.C.E.M. weder Katechismus noch Dogma noch Systeme, die zu unterschreiben wir von irgend jemandem verlangten. Stattdessen führen wir auf allen aktiven Stufen unserer Bewegung die ständige Gegenüberstellung der Ideen, der Forschungsergebnisse und der Erfahrungen durch. Wir beleben unsere Bewegung auf den Grundlagen und nach den Prinzipien, die sich erfahrungsgemäß als erfolgreich in unseren Klassen erwiesen haben: konstruktive Arbeit, die ein Feind jedes unnützen Geredes ist, freie Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft, Freiheit für das Individuum, seine Arbeit in der Gruppe zu wählen, Disziplin auf völlig freiwilliger Basis.

7.      Die Erzieher des I.C.E.M. sind allein für die Ausrichtung und Auswertung ihrer gemeinsamen Bemühungen verantwortlich.

Allein die Erfordernisse der Arbeit und keine anderen Erwägungen bestimmen die Verteilung der verantwortlichen Posten unter unseren Genossen. Wir bringen dem Leben unserer Genossenschaft großes Interesse entgegen, denn sie ist unser Zuhause, unsere Werkstatt, die wir mit unseren Mitteln, unseren Bemühungen und unseren Ideen erhalten müssen und die wir gegen jeden, der unseren gemeinsamen Interessen schadet, zu verteidigen bereit sind.

8.      Unsere Bewegung der Modernen Schule ist bemüht, Beziehungen der Sympathie und der Zusammenarbeit zu allen in derselben Richtung tätigen Organisationen zu unterhalten.

In dem Wunsch, der öffentlichen Schule so weit wie möglich zu nutzen und die Modernisierung des Schulwesens, die unser Ziel bleibt, zu beschleunigen, schlagen wir auch weiterhin – unter Wahrung unserer Unabhängigkeit – eine loyale und effektive Zusammenarbeit mit allen laizistischen Organisationen vor, die in dem Kampf, der der unsere ist, engagiert sind.

9.      Unser Verhältnis zur Verwaltung.

In den Laboratorien, in denen unsere Klassen bei der Arbeit sind, in den Ausbildungsstätten für Lehrer, auf den Tagungen auf Departements- oder Landesebene sind wir bereit, unsere Erfahrungen unseren Kollegen zum Zweck einer Modernisierung der Pädagogik mitzuteilen. Entsprechend unserer natürlichen Lage von Arbeitern bei der Arbeit, die ihre Arbeit kennen, behalten wir uns jedoch die Freiheit vor, nach den Erfordernissen der genossenschaftlichen Aktion unserer Bewegung, zu helfen, zur Verfügung zu stehen oder zu kritisieren.

10.  Die Pädagogik Freinets ist ihrem Wesen nach international.

Ausgehend von dem Prinzip der genossenschaftlichen Arbeitsgruppen versuchen wir, unsere Bemühungen auf die internationale Ebene auszudehnen. Unser Internationalismus ist für uns mehr als ein Glaubensbekenntnis, er ist eine Notwendigkeit unserer Arbeit. Ohne andere Propaganda a1s die unserer enthusiastischen Bemühungen haben wir eine Féderation Internationale des Mouvements d’Ecole Moderne – F.I.M.E.M. (Internationaler Verband der Bewegungen für die Moderne Schule) gegründet, die nicht die anderen internationalen Bewegungen ersetzt, sondern auf internationaler Ebene wie das I.C.E.M. in Frankreich darauf hinarbeitet, dass unsere Arbeit und unser Schicksal brüderlich verbunden werden, um in der Lage zu sein, alle Friedenswerke erfolgreich zu unterstützen.

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