An das
Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung
Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann
Minoritenplatz 5, A-1010 Wien
per Mail an: begutachtung@parlament.gv.at
Stellungnahme zum Pädagogik Paket 2019
Als Freinetpädagog*innen in Österreich beschäftigen wir uns seit über 30 Jahren mit dem Lernen von Schülerinnen und Schülern aller Schultypen nach den Ideen von Celestin und Elise Freinet und anderen reformpädagogischen Richtungen. Wir arbeiten und diskutieren mehrmals jährlich auf Tagungen und Seminaren österreichweit, in Wien tauschen wir monatlich unsere pädagogischen Überlegungen aus (https://freinetgruppewien.wordpress.com/ ; https://www.kooperative-freinet.at/ ).
Zum vorliegenden Gesetzesentwurf möchten wir Folgendes anmerken:
Die ausschließlich alternative Leistungsbeurteilung unserer Schüler*innen ist uns als Freinetpädagog*innen essentiell wichtig. Seit vielen Jahren bemühen sich engagierte, innovative Pädagog*innen das nichts aussagende, starre Notensystem, durch alternative Beurteilungen zu verbessern. Wir kennen keine Studie, die belegt, dass sich diese Schulversuche nicht bewährt haben.
Wir wollen darauf hinweisen, dass Noten
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keine Aussage über den tatsächlichen Lernstand geben.
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österreichweit nicht vergleichbar sind, da sie individuelle Interpretationen der Schulleistungen der Kinder sind.
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Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, die beim Schulstart benachteiligt sind, zu früh „kategorisieren“, „bewerten“ und „einstufen“. Die im Pädagogik Paket 2018 beschriebenen „Neuerungen“ der Notengebung ab Ende der 2. VS-Klasse sind nicht zeitgemäß und werden die Kluft zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien noch mehr erweitern.
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familiären Stress, Frustration und Druck für die Kinder auslösen („schlechte Noten“ in der Volksschule beginnen im Empfinden der Eltern ab einem „Gut“).
Es gibt keine Notenwahrheit! Leistung und Lernen sind multidimensional und mit Noten nicht erfassbar!
Alternative Leistungsbeurteilungen (KDL, LFD, KEL-Gespräche,…)
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lassen eine Dokumentation der Entwicklung der Kinder zu.
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ermöglichen Eltern individuell für ihr Kind Rückmeldung zum Leistungsstand zu erhalten.
- ermöglichen Fördermaßnahmen bezüglich des individuellen Leistungsstands mit den Eltern ohne „Notenstress“ oder „Notendruck“ zu besprechen.
- ersparen den Kindern Stress, Überforderung und Frustration, somit bleiben die Kanäle für das Lernen offen.
- müssen die Entwicklung der Schüler*innen dokumentieren und Fortschritte abbilden. Sie können nie eine „Ergänzung“ zu einem Notenzeugnis sein. Das individuelle Recht eines jeden Elternteils Ziffernnoten einzufordern führt alternative Beurteilungssysteme ad absurdum. Kategorisierungen wie „selbstständig“, „eigenständig“, „erreicht“ oder „nicht erreicht“ sind kontraproduktiv und unnötig.
Wir sprechen uns dafür aus, die Entscheidung über die Form der Beurteilung bis Ende der 3. Schulstufe in der Autonomie der Schulen zu belassen. Die Mitglieder der Schul- bzw. Klassenforen kennen die Besonderheiten des jeweiligen Standortes und die Bedürfnisse der Schüler*innen am besten, deshalb sollte die Entscheidung über die Beurteilungsform in diesen Gremien getroffen werden und nicht bundesweit verordnet werden.
Unser Ziel einer Bildungsreform bleibt die gemeinsame Schule der 10-14Jährigen. Die geplante Gesetzesänderung für die künftige Mittelschule (derzeit NMS) der zwei Leistungsniveaus soll vor der Erstellung der dann gültigen Lehrpläne erfolgen. Viele Details sind noch nicht geklärt (das Beurteilungsraster, die schriftlichen Erläuterungen). Wir halten es nicht für sinnvoll ein Gesetz zu beschließen, dem die Ausführungen für die Praxis fehlen. Eine Wiedereinführung der Leitungsgruppen begrüßen wir aus pädagogischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht.
Wir Freinetpädagog*innen lehnen weitere verpflichtende Testungen (IKPM: Individuelle Kompetenz- und Potentialmessung) in der 3., 4., 7. und 8. Schulstufe ab. Die Sinnhaftigkeit der bisherigen Testungen erschließt sich uns nicht (BU8-Test, Salzburger Lesescreening, BIST-Testungen auf der 4. und 8. Schulstufe, etc.).
Die im Pädagogik Paket 2019 beschriebenen Standortgespräche auf der 4., 7. und 8. Schulstufe sind grundsätzlich zu begrüßen. Verpflichtende Gespräche von 50 Minuten pro Kind scheinen organisatorisch vor allem an ganztägig geführten Schulen undurchführbar, da die KEL-Gespräche erhalten bleiben sowie weitere Elterngespräche in der 3., 4., 7. und 8. Schulstufe über die IKPM im Gesetzesentwurf stehen (> 2 Stunden Elterngespräche/ Kind/ Semester).
Wir Pädagog*innen brauchen von unseren Arbeitgebern, den Bildungsdirektionen und dem Bildungsministerium, das Vertrauen in unsere Kompetenzen. Wir wollen nicht durch weitere administrative Auflagen (verpflichtende Lernzielkataloge, IKPM- und Standort- Elterngespräche, mehrfache Benotung) in unserer didaktisch-methodischen Freiheit beschnitten und zusätzlich belastet werden. Wir wollen in unserer Arbeitszeit in höchstem Maß aktiv mit den Kindern an ihren Lernprozessen arbeiten.
Jahrelange Schulentwicklungsarbeit von LehrerInnenteams wird mit diesem Pädagogik Paket 2019 aus politischer Ideologie abgewertet und abgeschafft.
Deshalb fordern wir:
- Erhalt der Schulautonomie der Schulstandorte, z.B.: Entscheidungen über die Leistungsbeurteilung und über heterogenen oder homogenen Unterricht in der Sekundarstufe 1
- keine verpflichtenden Testungen
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die wissenschaftliche Evaluation der Reform
- Einbeziehung von Expertinnen, die den derzeitigen Schulalltag kennen in die Vorgaben zur praktischen Umsetzung (z.B. Erstellung von Beurteilungsrastern)
Mit freundlichen Grüßen
Wanda Grünwald, Eva Neureiter, Susanne Obernberger, Dagmar Schöberl, Gabriele Starkl
für die Kooperative Freinet Österreich und die Freinet Gruppe Wien